Was immer Sie tun, gehen Sie nicht ins Internet“, raten manche
Ärzte ihren Patienten. Und das sei nicht einmal verwunderlich,
kommentierte der US-Internetexperte Tom Ferguson vor kurzem im
Fachblatt British Medical Journal (Bd. 324, S. 555, 2002). Die
renommierte Zeitschrift hatte ein Themenheft der Frage gewidmet, wie
gut medizinische Web-Seiten tatsächlich sind. Nach wie vor scheinen
die Qualitätsunterschiede gewaltig. Und Fakt und Fiktion liegen
mitunter nur einen Mausklick voneinander entfernt.
Um die Spreu vom Weizen zu trennen, hatten öffentliche
Institutionen, medizinische Gesellschaften und kommerzielle Anbieter
in den vergangenen Jahren eine Fülle von Qualitätssiegeln
entwickelt. Sie sind auf vielen medizinischen Seiten als Logos zu
finden und sollen den Internetnutzern den Weg im Online-Dschungel
weisen. Manche der Siegel gelten als Klassiker, etwa jenes der
Schweizer Health on the Net Foundation (HON). Andere dagegen muten
exotisch an und wecken mit Namen wie „Nicecom nicelinks“ oder „Dr.
Webster’s Website of the day“ eher Skepsis als Vertrauen.
Unklare Vergabekriterien
Tatsächlich ist der Nutzen vieler Gütesiegel fraglich. So hatten
Anna Gagliardi und Alejandro Jadad von der Universität Toronto knapp
hundert von ihnen unter die Lupe genommen. Das ernüchternde Fazit:
Bei der großen Mehrzahl der Siegel bleibt unklar, nach welchen
Kriterien sie vergeben werden. Kommerzielle Interessen sind selten
ersichtlich. Und mitunter finden sich Güte- Logos selbst dann noch
auf Websites, wenn die vergebende Organisation schon nicht mehr
existierte (BMJ, Bd. 324, S. 569).
„Zudem sind viele der Qualitätssiegel unter Internetnutzern gar
nicht bekannt“, urteilt Gunther Eysenbach, der an den Universitäten
Heidelberg und Toronto das Nutzerverhalten von Rat suchenden Surfern
erforscht. Diese scheinen sich mitunter wenig um die Qualität der
besuchten Seiten zu sorgen, wie Eysenbach und sein Kollege Christian
Köhler berichten (BMJ, Bd. 324, S. 573). Die Forscher hatten
Testpersonen aufgefordert, mit Hilfe des Internet herauszufinden, ob
etwa eine Malariaprophylaxe bei einer Reise nach Australien
notwendig sei. Es zeigte sich, dass die Testsurfer – möglicherweise,
weil sie gewohnt sind, mit Online-Zeiten sparsam umzugehen – meist
nur die ersten fünf der von Suchmaschinen gefundenen Links
verfolgten und so viele gute Web-Seiten verpassten. Zudem
überprüften sie meist nicht, wer die Seiten betreibt. Später wussten
auch nur wenige, ob die Informationen von einer Universität, einem
Unternehmen oder einer Privatperson bereit gestellt worden waren.
„Internetnutzer sollten vorsichtiger und kritischer mit dem Medium
umgehen“, folgert Eysenbach.
Sasha Shepperd und Deborah Charnock von der Universität Oxford
argumentieren indes, dass die mitunter mangelnde Qualität
medizinischer Websites keineswegs ein neues Problem sei (BMJ, Bd.
324, S. 556). Auch bei anderen Medien stelle sich die für manche
beunruhigende Frage, wie korrekt die gegebenen Informationen
eigentlich seien. „Tatsächlich ist die Panik, dass das Internet viel
schlechter ist als herkömmliche Medien, unnötig“, meint auch
Eysenbach. Sein Team hat in einer noch unveröffentlichten
Untersuchung 100 Studien miteinander verglichen, in denen die Güte
von medizinischen Websites, Zeitungsartikeln oder Fernsehsendungen
überprüft worden war. Einen Qualitätsunterschied fanden die Forscher
nicht.
Martin
Lindner